Aufgewachsen im Iran - ein Leben unter Beobachtung

Ihre dunklen Locken wippen, wenn sie lacht. Ihr strahlendes Lächeln ist ansteckend. Wer Mana aus Paderborn sieht, kommt nie im Leben darauf, was sie als Kind durchgemacht hat. Und auch sie selbst schiebt die ersten Jahre ihres Lebens gern von sich. Es fühlt sich dann nicht so real an, nicht so nah.

Ihr Vater nahm sie zitternd in den Arm und sagte: "Das ist nur Feuerwerk"

Aufgewachsen ist Mana in Teheran, im Iran, mitten im Krieg zwischen ihrem Heimatland und dem Irak. Draußen auf der Straße durfte sie auch tagsüber nie alleine spielen. Es war immer ein Erwachsener dabei. Aber erst nachts war die Bedrohung greifbar. Dann begann die Bombardierung. Mitten in der Nacht haben ihre Eltern sie geweckt. Alle liefen ins Badezimmer der Wohnung. Das war der sicherste Ort im Haus. „Wir haben die Bomben richtig gehört, wie sie explodierten“, sagt Mana. Ihr Vater nahm sie zitternd in den Arm und sagte „Das ist nur Feuerwerk“. Von einem auf den anderen Moment fehlten in der Straße Häuser, ganze Siedlungen. „Immer, wenn ich darüber nachdenke, dann merke ich, wie stark ein Mensch ist“.

Zwischen Krieg und Party

Obwohl Krieg herrschte, haben Manas Eltern versucht, für sie und ihren vier Jahre älteren Bruder so eine Art heile Welt zu schaffen. Bei ihnen zu Hause gab es oft kleine Partys, sie haben Musik gehört und getanzt. Sie haben ein Stück Normalität zu Hause erschaffen. Mana wirkt nachdenklich und sagt: „Ich muss meinen Eltern dankbar sein“ für diese eigene kleine Welt mitten zwischen Bomben und Militär.

„Ich habe ein graues Bild von meiner Schulzeit"

Als Mana in die Schule kam, war der Krieg schon ein paar Monate vorbei. Jeden Morgen versteckte sie ihre vielen Locken unter einem Kopftuch. Das mussten alle Mädchen in der Schule tragen. Lang wachsen ließ sie ihre Locken nie – sie hätte niemals alle unter das Tuch bekommen. Auch so bekam sie manchmal furchtbare Kopfschmerzen von den eng an den Kopf gepressten Locken unter dem Tuch. Sobald sie konnte, nahm sie es wieder ab. Jedes Jahr, wenn die Schule wieder losging, fing Mana an zu weinen. Sie wollte da nicht wieder hin mit ihrer grauen Uniform. Bunte Schuhe waren verboten – zu auffällig. Mana schaut auf: „Und dann frage ich mich, wie habe ich das ausgehalten? Aber solange du nicht das andere kennst, denkst du, das ist die Normalität. Jetzt, wenn ich von draußen einen Blick darauf werfe, merke ich, das war echt traurig.“ Es gab viele Einschränkungen in ihrem Leben. „Ich hatte meine kleine Gesellschaft, in der ich mich frei und sicher gefühlt habe. Aber trotzdem hatte ich das Gefühl, das reicht mir nicht. Ein Kind irgendwann in diesem Land zur Welt zu bringen, fand ich nicht fair. Ich wollte mehr vom Leben sehen.“

Mit der Welt in Kontakt bleiben

Westliche Musik war im Iran verboten, Partys sowieso und Alkohol erst recht. Aber schon in der Grundschule wussten alle Kinder, wer die „Backstreet Boys“ sind. Poster oder Kassetten wurden durch Verwandte im Ausland ins Land „geschmuggelt“. Ganz geheim wurde das Geld an den Mitschüler übergeben und zu Hause ausgepackt. „Ich erinnere mich, die ganze Kindheit über, wir haben immer nach einer Lösung gesucht, mit der Welt in Kontakt zu bleiben“. Die Menschen tun viel, um ein bisschen Freiheit zu haben – zumindest bei sich zu Hause.

Die Sittenpolizei

Was wir uns hier gar nicht vorstellen können, ist im Iran ganz normal: Es gibt Sittenpolizisten – quasi die Aufpasser des Landes, die sich dein Verhalten ganz genau anschauen. Tragen die Frauen ein Kopftuch? Gucken die Haare raus? Sind Ohrringe zu erkennen? Ist die Hose lang genug? Ist der Eyeliner zu auffällig? Fragen, die wir uns nicht stellen, wenn wir aus dem Haus gehen. Wer in Manas Jugend eine Party im Iran veranstaltete, brauchte entweder die Erlaubnis der Sittenpolizei oder einen besonders guten Freund, der Schmiere stand. Jederzeit konnten sie entdeckt werden. Mana erzählt, wie oft sie angehalten wurde im Auto, weil ihre Haare aus dem Kopftuch guckten oder ihre Ohrringe. Selbst Nagellack war verboten. Sie erinnert sich weiter. Die Sittenpolizei wollte eine Freundin von ihr festnehmen. Sie sei zu sehr geschminkt. Die Freundin wehrte sich und fing an zu weinen. Der Polizist sah sie an und sagte: „Weine. Weine so lange bis die ganze Schminke weg ist“.

Du weißt nie, wer der Spitzel ist

Mana schaffte ihr Abi mit einem mathematischen Schwerpunkt, auch wenn sie lieber Kunst gehabt hätte. Dann lernte sie ein Jahr für die Aufnahmeprüfungen an der Uni. Auch da hatte sie bereits überlegt, das Land zu verlassen und zu ihrer Tante nach Deutschland zu ziehen. Dann starb ihr Vater. Das änderte alles. Auch ihre Pläne. Sie blieb und entschied sich für ein Studium in Teheran. Philosophie – genau das Fach, das nicht gerne gesehen ist im Iran. „Du musst aufpassen, was du sagst“, meint Mana. Deine Meinung muss mit der Regierungsmeinung konform gehen. Und auch an der Uni gibt es das Sittenkomitee. Was sagst du in den Seminaren? Nimmst du an Demos teil? In jedem Kurs kann ein Spitzel sitzen. Du weißt nie, wer es ist. Vielleicht dein Sitznachbar, vielleicht dein Freund.

Der Weg nach Deutschland

Eigentlich hätte Mana (links zusammen mit ihrem Ehemann) ohne Aufnahmeprüfung ihren Master machen können. Eigentlich. Denn sie wurde nicht zugelassen. Warum, weiß sie bis heute nicht. Vermutlich, weil sie bei Demonstrationen an der Uni teilgenommen hat. Vielleicht, weil sie im Studium ihre eigene Meinung hatte. Oder, weil ihre Haare öfter aus dem Kopftuch guckten. Bis heute hat die Uni ihr den offiziellen Grund dafür nicht mitgeteilt. Sie fing an, im Iran als Lehrerin zu arbeiten. Aber sie merkte immer: „Die Freiheit zu leben, das hat mir am meisten gefehlt“. Deshalb bewarb sie sich in Deutschland an der Uni. Alles klappte reibungslos. „Als ob es mein Schicksal gewesen wäre“. Bei ihrer Tante war sie schon früher oft zu Besuch. Für Mana war es „das Land der Freiheit“. An der Paderborner Uni hat sie Lehramt studiert. Sie ist mittlerweile 34 Jahre alt, arbeitet an einer Schule und lebt in Paderborn. Sie sagt, sie ist froh, dass ihr Kind hier in Deutschland in die Schule gehen wird, auch wenn sich im Iran ganz langsam etwas an den Strukturen ändert.

"Fast täglich telefoniere ich mit meiner Mutter"

Natürlich schaut Mana immer noch auf ihre Heimat. Ihre Mutter lebt dort und viele Verwandte. Durch die Sanktionen durch die USA geht es vielen im Iran schlechter, sagt Mana. Lebensmittel sind deutlich teurer geworden. Die Preise sind instabil. Heute kostet der Apfel 40 Cent – morgen das Doppelte. Die Inflation im Iran beeinflusst jeden zu jeder Zeit. Manchmal gibt es kein Fleisch, an anderen Tagen gibt es keine Windeln zu kaufen. Und auch Medikamente sind knapp. Fast jeden Tag telefoniert Mana mit ihrer Mutter und fragt, wie die Lage im Iran ist. Es ist eine angespannte Lage. Ein bisschen wie die Ruhe vor dem Sturm. Die Menschen sind verunsichert und wissen nicht, was passiert, meint Mana. Alle seien in einer Art Schockstarre und würden abwarten, was passiert und ob es noch schlimmer wird. „Die Schmerzgrenze ist noch nicht erreicht“, sagt Mana, wie zum Beispiel in Ländern, aus denen die Menschen sogar zu Fuß flüchten. Aber auch von Seiten der eigenen Regierung werden die Iraner eingeschränkt. Sie versucht immer wieder, soziale Netzwerke oder Apps zu sperren. Mana meint: „Wir wissen, wie es in der Welt läuft“. Die Menschen finden einen Weg, zu kommunizieren. Das haben sie immer.

 

Autorin: Christina Hüllweg

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