Für drei Dromedare nach Deutschland

Wo liegt eigentlich Mauretanien und wie heißt die Hauptstadt? Wie viele Einwohner gibt es und welche Sprache spricht man dort? Und vor allem, warum kommt man aus Mauretanien nach Deutschland und dann auch noch nach Paderborn? Diese Fragen kann Abdullah Sheikhna mit Leichtigkeit beantworten, denn schließlich ist er einer von insgesamt nur zwei Mauretaniern, die in Paderborn und Umgebung leben.

„Mauretanien gehört zu den Maghreb-Staaten und liegt somit in Nordafrika. Die Hauptstadt heißt Nouakchott. In Mauretanien gibt es insgesamt nur 3,5 Millionen Einwohner, obwohl das Land eine Fläche dreimal so groß wie Deutschland hat. Davon sind 850 Kilometer am Atlantik. Es gibt allerdings keine Flüsse im Land und ein sehr  großer Teil ist Wüste. Man spricht dort Arabisch“, erklärt Abdullah Sheikhna, der gebürtig aus Mauretanien stammt, und frischt mein geographisches Wissen auf.

Abdullah redet gerne und viel und spricht in einer sehr blumigen Sprache. Schon auf die Anfangsfrage, wie es ihm geht und ob er sich noch an die Geschichten, die er bei „Weltenbummler aus der Nachbarschaft“ im Mai 2017 erinnere, fängt er an, wie ein Wasserfall zu erzählen. Ich komme gar nicht dazu so schnell mitzuschreiben. Er bremst sich jedoch sehr schnell selbst und sagt: „Ich kann dir sehr viel erzählen, aber dann kommst du nicht mit. Ich glaube, du stellst am besten die Fragen und ich bemühe mich nur auf diese zu antworten.“ Und genau das tue ich dann auch.

 

Warum bist du nach Deutschland und vor Allem nach Paderborn gekommen?“, möchte ich wissen. „Ich habe einen Cousin in Düsseldorf. Er lebte schon ein paar Jahre dort und hat mir von Deutschland vorgeschwärmt. Als ich mein Abitur in Mauretanien abgeschlossen hatte, hat mich mein Cousin in mehreren Universitäten in Deutschland für ein Wirtschafts-Informatik-Studium angemeldet. In Paderborn wurde ich später genommen. So kam ich in diese schöne Stadt“, berichtet Abdullah. „Das war im Jahr 2000, als ich nach Deutschland kam. Allerdings konnte ich die Sprache noch nicht und musste sie erstmal lernen. So habe ich zunächst bei meinem Cousin gewohnt und an mehreren Sprachkursen teilgenommen. Im Jahr 2002 kam ich dann mit einem Stipendium an die Uni Paderborn. Dann bekam ich auch schnell ein Visum. Früher war es noch deutlich einfacher ein Visum zu bekommen“, erklärt er weiterhin.  

Kein einfacher Start in Deutschland

 

„Wie hat dir denn das Studium gefallen?“, frage ich ihn. „Es war sehr schwierig für mich. Ich konnte die Sprache noch nicht so gut. Besonders beim Schreiben von Klausuren hatte ich große Schwierigkeiten“, berichtet der Mauretanier. „Und dann kam noch dazu, dass ich in den Semesterferien mit dem Auto nach Hause, also nach Mauretanien, reiste und einen Unfall in Marokko hatte. Ich kam ins Krankenhaus und war lange gesundheitlich nicht dazu in der Lage zurück nach Paderborn zu kommen. Darum konnte ich auch einige Klausuren nicht mitschreiben und wurde letztendlich exmatrikuliert“, sagt er traurig. 

 

„Oh je, und was machst du dann jetzt in Paderborn?“, möchte ich wissen. „Ich mache im Moment eine Ausbildung zum Verfahrensmechaniker bei Benteler“, berichtet er stolz. „Das macht mir Spaß und ich werde im Sommer fertig. Ich habe gute Chancen auch weiterhin bei Benteler arbeiten zu können“, freut er sich.

 

Warum Paderborn?

 

„Gab es denn immer nur Paderborn für dich oder wolltest du auch mal in eine andere deutsche Stadt?“, frage ich. „Weißt du, ich kenne nur Paderborn“, sagt er und lächelt. „Dies ist eine Stadt, wo ich mich selbst finden kann. Außerdem leben hier meine Ex-Frau und meine drei Kinder. Es ist schön, dass wir uns mindestens jeden Freitag zum gemeinsamen Essen sehen und Zeit miteinander verbringen können“, erklärt der heute 41-Jährige. Ob er wirklich 41 Jahre alt ist, weiß er übrigens nicht genau. In seiner Geburtsurkunde steht das Geburtsjahr 1976. Laut seiner Mutter war die Geburt irgendwann im Sommer. Allerdings war es damals in Mauretanien nicht dringend die Geburten anzugeben und man konnte sich einige Monate Zeit lassen, bis man die Geburtsurkunde ausstellen ließ.

„Erzähl doch mal ein bisschen, wie man sich dein Leben in Mauretanien vorstellen kann“, fordere ich ihn auf. „Na ja, ich bin in Armut aufgewachsen“, beginnt er. „Meine Mutter war alleinerziehend, da mein Vater eine neue Frau hatte. Meine Mutter war eine tolle Frau. Sie war immer herzlich und hilfsbereit, obwohl sie so arm war. Wir lebten in der Hauptstadt Nouakchott. Leider starb sie im Jahr 1995 an Herzproblemen. Zu meinem Vater hatten wir  trotz der Trennung meiner Eltern immer ein gutes Verhältnis, denn in Mauretanien gibt es auch nach Trennungen nur selten „Krieg“. Wir haben meinen Vater immer in den Sommerferien besucht. Er ist Nomade und lebt in der Wüste. Außerdem habe ich insgesamt 13 Geschwister und Halbgeschwister“, berichtet Abdullah aus seinem Leben. „Weißt du, in Mauretanien ist man mit wenig zufrieden. Man lebt ein einfaches Leben und hat meist nicht die Ambitionen auszuwandern oder beruflich etwas Besonderes zu erreichen.“

 

„Dann bist du also die große Ausnahme?“, frage ich. „Ja, irgendwie schon“, sagt er und lächelt. „Ich war der erste von meinen Geschwistern, der eine Schule besucht und der Abitur gemacht hat“, berichtet er stolz. „Mein Vater hat immer Dromedare gehalten. Als ich mein Abitur geschafft hatte, hatte er gerade drei Stück. Die konnten wir verkaufen und so waren sie mein Flugticket nach Deutschland“, lacht er.

 

Wo das Herz dran hängt

 

„Gibt es denn hier irgendetwas, was du besonders an Mauretanien vermisst?“, möchte ich wissen. „In Mauretanien ist der Familienzusammenhalt viel wichtiger als hier. Reiche Familienmitglieder unterstützen ärmere selbstverständlich. Auch die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist eine ganz andere. Kinder begegnen ihren Eltern mit viel mehr Respekt. Kinder sind auch die Rente für ihre Eltern. Bei uns ist es selbstverständlich, dass man den Eltern für das Alter Geld gibt, obwohl man vielleicht auch gar nicht so viel Kontakt zueinander hatte. Das vermisse ich hier sehr. Und dann vermisse ich die Bescheidenheit der Menschen. Denn in Mauretanien kann man arm leben. Das ist hier fast unmöglich“, findet Abdullah.

 

„Fährst oder fliegst du denn dann ab und zu nach Hause?“, frage ich ihn. „Eigentlich versuche ich jedes halbe Jahr nach Mauretanien zu fahren oder zu fliegen, aber im Moment ist das aufgrund der Ausbildung ein bisschen seltener geworden“, erklärt er. „Es ist immer wieder ein Erlebnis nach Mauretanien zu reisen. Mit dem Auto braucht man ungefähr vier Tage. Als ich einmal mit meiner Frau und den Kindern hingefahren bin, haben wir einmal sogar sechs Tage gebraucht, selbstverständlich mit Pausen. Früher haben mein Cousin und ich es so gemacht, dass wir in Deutschland ein altes Auto gekauft haben. Dann sind wir damit nach Hause gefahren und haben es dort verkauft. Das war dann immer unser Geld für das Rückflugticket nach Deutschland“, berichtet Abdullah.

„Wolltest du denn nie zwischendurch zurück in deine Heimat?“ frage ich ihn. „Ich habe versucht mir zwischenzeitlich ein Leben in Mauretanien aufzubauen. Aber ich muss zugeben, dass mir einiges in meinem Heimatland fremd geworden ist. Außerdem habe ich ja meine Kinder in Deutschland, und meine Ausbildung und dann habe ich auch noch ein ehrenamtliches Projekt gestartet, das mir sehr am Herzen liegt. Und das alles kann ich besser von Deutschland aus koordinieren“, antwortet er.

 

„Was ist denn das für ein ehrenamtliches Projekt?“, interessiert mich noch. Unser Projekt heißt „Raising Hope“ und ich bin der Vorsitzende. Hier in Deutschland helfe ich Flüchtlingen, wo ich kann. Beispielsweise habe ich ein paar Kinder unterrichtet. Aber ich helfe auch in Mauretanien. Letztes Jahr im August war ich für längere Zeit dort und habe für die ärztliche Versorgung in kleinen, abgeschiedenen Dörfern gesorgt. Dazu hatte ich einige Ärzte aus der Hauptstadt angeworben, die dann für fünf Tage in den Dörfern waren und in dieser Zeit ungefähr 1000 Patienten versorgt haben. Die Leute dort waren schrecklich dankbar“, berichtet er stolz. „Wenn ich das nächste Mal Urlaub habe, mache ich das nochmal. Mir ist es immer eine Freude zu helfen. Gerade die Verbesserungen der gesundheitlichen Probleme in meinem Heimatland liegen mir am Herzen. Denn meine Mutter ist an Herzproblemen gestorben, die aufgrund von Armut nicht effektiv behandelt werden konnten“, erklärt er seine Motivation.

 

Somit beenden wir unser Gespräch und ich bedanke mich für die interessanten Informationen. Abdullah lässt es sich nicht nehmen, mich für ein freitägliches Familienessen einzuladen. Welche spannenden mauretanischen Gerichte mich dabei erwarten, sollen aber eine Überraschung bleiben.

 

Autorin: Katarina Fenneker

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